Too Much Flesh

Ein Film von Jean-Marc Barr und Pascal Arnold

Deutscher Kinostart: 26. April 2001

Von Lambert-Sebastian Gerstmeier

Ein Maisfeld. Der Mais ist aufrecht gewachsen, reif und wartet darauf, geerntet zu werden. Ein Mann streift durch dieses Maisfeld. Er ist nackt, im besten Alter und genießt die warme Sonne am Himmel.

 

So beginnt der Film "Too Much Flesh" der Franzosen Jean-Marc Barr und Pascal Arnold. Diese Eingangs-Bilder deuten schon auf das Thema hin: Der Mais als Phallus-Symbol – es ist Erntezeit, auch für den Mann. Der Mais erscheint durchgängig im Film, bis zum Schluß. Dort steht er immer noch in voller Pracht – der Mann ist auch wieder da, allerdings ohne Kraft – leblos.

 

Aber was passiert dazwischen? Also, wir befinden uns in Rankin, einer kleinen Stadt im mittleren Westen der USA, es ist heute. Der 35jährige Farmer Lyle (Jean-Marc Barr) lebt dort mit seiner bigotten Ehefrau Amy (Rosanna Arquette). Etwas langsam, langweilig, einfältig, kinderlos. Und doch Zufrieden. Scheinbar. Bis die junge Französin Juliette (Elodie Bouchez) in der Stadt auftaucht. Lyle, der aufgrund eines körperlichen Stigmas sexuell vollkommen unerfahren ist, erfährt durch Juliette eine Art sexuelle Initiation – im Maisfeld. Als die Affäre bekannt wird, ist die Katastrophe in der puritanisch geprägten Kleinstadt vorprogrammiert.

 

Der Film lebt von den ruhigen Bildern, die einem Zeit für die Betrachtung lassen, um das Geschehen aufzunehmen. Gedreht wurde mit einer digitalen Handkamera, der fertig gestellte Film im Anschluß auf 35 mm kopiert. Die Dreharbeiten erfolgten mit einem im Verhältnis zu traditionellen Produktionen sehr kleinen Team: Nur sieben Leute sind am Drehort beschäftigt.

"Das Drehen mit der digitalen Handkamera hat uns erlaubt, mit einer neuartigen Intimität an die Darstellung von Körpern heranzugehen - auf eine ganz andere Art, als man sie von traditionellen Filmproduktionen kennt. [...] Diese Art der Produktion eröffnet ein großes Feld von Möglichkeiten. Dank der neuen Technologie können wir mit wesentlich weniger Einschränkungen an intimen Sujets arbeiten. Die Arbeit der Schauspieler rückt stärker in den Vordergrund und wir können uns bewußt mehr auf die Emotionen, als auf die ‚narrative und technische Effizienz‘ konzentrieren." So die beiden Autoren Jean-Marc Barr und Pascal Arnold.

Das Mais-Symbol ist die eine Seite des Films, die andere ist das Handeln der Einwohner von Rankin. Lyle wird für sie zum Außenseiter, weil er sich nicht an Konventionen und Regeln hält. Statt treu an der Seite seiner Frau zu bleiben, macht er sich mit der Französin Juliette vor aller Augen und mit dem Dulden seiner Frau ein vergnügtes Leben. Er hat auch keine Lust den Mais zu ernten.

Niemand hinterfragt Lyles Handeln. Sie sehen nur, was sie mit ihren Augen sehen und das paßt nicht in ihr Weltbild. Der Zuschauer erfährt den wahren Hintergrund, begreift und akzeptiert damit Lyles Handeln. Andererseits: Lyle versucht auch gar nicht, den Dorfbewohnern sein Handeln zu erklären. Seine Frau Amy, die der Anlaß ist, weiht auch nur Juliette ein. Ist Lyle selbst schuld an seinem Ende? Nein!

Finden wir nicht täglich Situationen, in denen es klug wäre, das Geschehen zu hinterfragen, um Tragödien zu verhindern?! Dies ist die eigentliche und wichtigste Aussage des Filmes: Wir müssen lernen, mehr zu hinterfragen und "zwischen den Zeilen zu sehen". Nicht einfach alles blind und stumm akzeptieren, ohne Hintergründe zu kennen. Dazu muß man aber auch den Mut haben, neue, unkonventionelle Wege gehen zu wollen – und Regeln zu brechen, wie Lyle.

Es soll hier bewußt nicht mehr vom Inhalt erzählt werden. Diesen Film muß man sehen und genießen – und darüber nachdenken. Die Ruhe der Bilder, ein hervorragender Schnitt, zusammen mit einer durchdachten Regie geben dem Film die Spannung. Schnelligkeit und Hektik wäre fehl am Platz und würde kontraproduktiv wirken.
Allerdings: Die erwähnte Eingangssequenz könnte kürzer sein. Der Symbolgehalt und die Bilder sind so stark, daß man schnell merkt, was hier gemeint ist.

Möglichst viele Zuschauer sollten den Film sehen. Aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten! Er könnte zu mehr Verständnis und Kooperation im Umgang miteinander führen.

"Too Much Flesh" ist der zweite Film einer Trilogie über das Thema Freiheit. Drei unterschiedliche Geschichten, drei grausame Fabeln, die unsere individuellen Freiheiten aus einem humanistischen Blickwinkel hinterfragen:

  1. "Lovers" beschäftigt sich mit der Freiheit der Liebe im heutigen Europa, wo die Möglichkeit, sich unabhängig von der Nationalität frei zu bewegen, noch immer eine Utopie ist. Der Film erzählt eine Liebesgeschichte, deren Happy End durch den radikalen Eingriff der Einwanderungsbehörde zerstört wird.

  2. "Too Much Flesh" beleuchtet die Freiheit, die eigenen sexuellen Wünsche und Vorlieben auszuleben, obwohl das unmittelbare Umfeld von sozialer Heuchelei und Dogmatismus beherrscht wird.

  3. "Being Light" wird sich mit der Freiheit des Denkens beschäftigen. Und dies in einer Zeit, in der weltweit standardisierte Ideen und normatives Verhalten auffallend zunehmen. Der Film wurde im Sommer 2000 in Paris und in Indien gedreht und befindet sich derzeit in Post-Produktion.

Too Much Flesh
  • Ein Film von Jean-Marc Barr und Pascal Arnold
  • Frankreich 2000
  • 100 Minuten
  • Farbe
  • Format 1:1,85
  • Dolby SR
  • deutsche Fassung und OmU
  • Deutscher Kinostart: 26. April 2001
  • Verleih gefördert durch die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und das MEDIA Programm der Europäischen Gemeinschaft
Besetzung

Amy: Rosanna Arquette
Juliette: Elodie Bouchez
Lyle: Jean-Marc Barr
Bert: Ian Brennan
Vernon: Ian Vogt
Connie: Stephnie Weir
Frank: Roch Komenich
Wally, der Sheriff: Hutton Cobb

Regie: Jean-Marc Barr und Pascal Arnold
Kamera: Pascal Arnold
Musik: Irina Decermic, Misko Plavi

Bilder zum Film

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